„Gefühlt. Geschätzt. Gerechnet! – Bewerten und Entscheiden in der Landwirtschaft“
– mit diesem Thema befassten sich die mehr als 20 Referierende der KTBL-Tage
2023 am 15. und 16. März in Berlin. Gleichzeitig feierte das Kuratorium für Technik
und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. seinen 100. Geburtstag mit einem Festakt,
zu dem KTBL-Präsident Prof. Dr. Eberhard Hartung die Parlamentarische Staats-
sekretärin Claudia Müller begrüßen konnte.
„Seit jeher prägt das Kuratorium den Sektor mit detaillierten Stellungnahmen, präzi-
sen Kalkulationen und pragmatischen Entscheidungshilfen. Von der zukunftsfähigen
Tierhaltung über den Ausbau des Ökolandbaus bis zum Schutz von Umwelt und
Klima: mit seiner täglichen Arbeit schafft das KTBL innovative Grundlagen für den
Wissenstransfer von Theorie zur Praxis“, betonte die Vertreterin des Bundesministe-
riums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Sie gratulierte dem KTBL zu dieser
Erfolgsgeschichte, die auch die nächsten 100 Jahre für den Umbau der Landwirt-
schaft gebraucht werde.
Was beeinflusst gute Entscheidungen? Welche Indikatoren sind belastbar und wel-
che Methoden sind geeignet? Wie können Wissenschaft, Beratung und Wirtschaft
die landwirtschaftlichen Betriebe und die Politik bei Entscheidungen unterstützen?
Rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten auf den diesjährigen KTBL-
Tagen die Herausforderungen rund um Wissenstransfer, Bewertungsfragen und
komplexe Entscheidungsprozesse in Landwirtschaft und Politik.
„Es ist nicht nur wichtig, richtige Entscheidungen zu treffen, sondern auch gute“,
betonte Prof. Dr. Dagmar Borchers von der Universität Bremen in ihrem Einfüh-
rungsvortrag. Bei guten Entscheidungen seien Bauchgefühl und Verstand im Ein-
klang und man sei auch nach längerer Zeit noch damit zufrieden. Zusammen mit
Prof. Dr. Friedhelm Taube von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, dem Ag-
rarpolitiker Dr. Hermann Onko Aeikens und Landwirt Torsten Reim vom Zweilinden-
hof in Hohenstein zeigte sie am Beispiel der Düngegesetzgebung, dass Zielkonflikte
und mangelnder Handlungswille gute Entscheidungen verhinderten trotz vorhande-
ner fachlicher Erkenntnisse.
Künstliche Intelligenz und Effizienzanalyse unterstützen
Nicht immer müssen Menschen entscheiden. Zunehmend unterstützt künstliche
Intelligenz das menschliche Handeln, z.B. autonome Hackroboter auf dem Acker.
Darüber berichtete Prof. Dr. Joachim Hertzberg von Deutschen Forschungszentrum
für Künstliche Intelligenz in Osnabrück.
Prof. Dr. Sebastian Lakner von der Universität Rostock stellte die Effizienzanalyse
als Bewertungsinstrument für Umweltgüter vor, die der Markt nicht abbildet. Sie
kann mit Hilfe sogenannter Schattenpreise den monetären Wert dieser Güter sicht-
bar machen, der, z.B. durch die Übernutzung von Agrarökosystemen durch zu hohe
Düngergaben, beeinträchtigt wird.
Der Deutsche Verband für Landschaftspflege hat bereits ein System zur Bewertung
von Biodiversitätsleistungen entwickelt, das Dr. Helge Neumann den Zuhörern er-
läuterte: Die Gemeinwohlprämie schafft es, Landwirte für Biodiversitätsleistungen zu
entlohnen. Auch die Molkereigenossenschaft Arla hat mit ihrem Klima-Check-
Programm ein Anreizmodelle für Landwirte geschaffen, die Nachhaltigkeitsziele des
Unternehmens mitzutragen. "Der Klima-Check ist für den Landwirt zwar nicht verpflichtend,
aber mit über 90 Prozent machen fast alle Landwirte mit und werden dafür auch entlohnt,"
erklärte Meike Packeiser von der Arla Foods Deutschland GmbH (Zitat fachlich korrigiert am 3.4.2023).
Erkenntnisse in die Praxis vermitteln
Die Herausforderungen und Perspektiven des Wissenstransfers in die Praxis skiz-
zierte Prof. Dr. Anna Henkel von der Universität Passau. „Solange die Landwirt-
schaft auf die Optimierung wirtschaftlicher Effizienz ausgerichtet ist, bleibt es
schwierig, auch erfolgreich transferierte Wissenselemente etwa zum Bodenschutz in
der Praxis umzusetzen. Ausgerichtet auf optimierte Pflanzenwachstumserträge
bleibt der Bodenschutz primär ein Kostenfaktor“, so die Soziologin.
Wissenschaft muss sich Gehör verschaffen
„Die Politik steht im Spannungsfeld zwischen gesamtgesellschaftlichen Interessen
und den Interessen der eigenen Wählerschaft“, erklärte Prof. Dr. Harald Grethe von
der Humboldt-Universität Berlin. Dies führe zu Zielkonflikten zwischen Wissenschaft
und Politik. Die Wissenschaft müsse mehr Institutionen schaffen, die in der Politik
besser Gehör fänden, wie zum Beispiel Thinktanks. Diese bearbeiteten an der
Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Privatwirtschaft die zentra-
len Handlungsfelder der Transformation der Landwirtschaft, so der Mitbegründer
des Thinktank Agora Agrar.
Podiumsdiskussion richtet Blick auf das große Ganze
Ambitionierte Klimaschutzziele, neue Tierwohlstandards, aber auch der Erhalt bäu-
erlicher Familienbetriebe und der Kulturlandschaft mit ihrer Biodiversität – in diesem
Spannungsfeld soll der Transformationsprozess in der Landwirtschaft angestoßen
werden, um die ausgehandelten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die Politik muss
handeln und entscheiden. Das dafür ein gewisser Druck vonseiten der Wissen-
schaft, der Verbände und der Praxis notwendig ist, darüber waren sich die Teilneh-
mer der Podiumsdiskussion einig.
Dr. Burkhard Schmied vom Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung,
Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, Hubertus Paetow, Prä-
sident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft e.V., Dr. Holger Hennies, Vor-
standsmitglied des Deutschen Bauernverbandes und Hubert Heigl, Vorstandsmit-
glied im Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., kamen trotz unterschiedli-
cher Standpunkte zu dem Ergebnis: Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit
könne nur gelingen, wenn die gemeinsam vereinbarten Ziele der Zukunftskommissi-
on Landwirtschaft politisch konsequent umgesetzt würden. Es nütze nichts sich wei-
terhin gegenseitig die Schuld zuzuweisen. Der Blick müsse auf das große Ganze
gerichtet werden und die von der Politik angestoßenen Maßnahmen müssten dies
auch widerspiegeln.
Diese Forderung unterstützte auch Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum
für Umweltforschung und Mitglied des Weltbiodiversitätsrates in seinem abschlie-
ßenden Vortrag: „Grundlegende Veränderungen erfordern, dass mehrere Maßnah-
men gleichzeitig eingeleitet werden und klug aufeinander abgestimmt werden. Nur
so können sie sich in ihren Wirkungen wechselseitig verstärken und Synergien nut-
zen.“
Der Tagungsband kann auf der Homepage des KTBL unter www.ktbl.de im Bereich
„Themen – KTBL-Jahrestagung“ kostenfrei heruntergeladen werden. Die verfügba-
ren mitgefilmten Vorträge finden Sie im KTBL YouTube-Kanal.
Presse-Information 30. März 2023 als TXT-Datei oder als DOC-Datei.
Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL) Bartningstraße 49, 64289 Darmstadt, www.ktbl.de
Kontakt: Andrea Trinoga, Telefon: 06151 7001-125, E-Mail: a(dot)trinoga(at)ktbl.de | V.i.S.d.P.: Dr. Martin Kunisch